Patienteninformation
Mentalisieren – ein Kompass in der Psychotherapie¹
Eine Psychotherapie zu machen, heißt einen neuen Versuch im Leben zu starten und alte Wege zu verlassen. Dazu kann ein Kompass nützlich sein. Mit einem Kompass alleine kommt man allerdings nicht an das Ziel und ein Kompass reicht nicht aus um zu erklären wie Psychotherapie geht. Aber wir brauchen eine generelle Richtung. Es kann hilfreich sein, dass ein Patient weiß, was der Therapeut über die Therapie denkt. Wenn der Patient darüber informiert ist, kann er daraus vielleicht einen Nutzen ziehen. Deshalb hier diese Information über ihre Behandlung.
Die größte Bedeutung für eine erfolgreiche Therapie hat die Zusammenarbeit. Zusammenarbeit fordert ein gemeinsames Verständnis und Mentalisieren ist dabei der entscheidende Punkt.
Wir mentalisieren, wenn wir:
+ die Welt des anderen mit seinen Augen zu sehen.
+ die eigene Welt mit den Augen des anderen sehen.
+ uns bewusstmachen, was in einem anderen Menschen vor sich geht oder was in uns vor sich geht – in den Gedanken, in den Gefühlen und in unseren Taten.
+ uns bemühen Missverständnisse zu verstehen.
+ versuchen ein zusammenhängendes Bild von uns selbst und von anderen zu entwickeln.
Mentalisierung und seelische Gesundheit
+ Mentalisieren ist die Basis für das Gefühl lebendig zu sein und dem Gefühl eine eigenständige Person zu sein. Mentalisieren versichert uns unserer Identität und Ganzheitlichkeit von Körper und Seele.
+ Mentalisieren ermöglicht uns bedeutende, dauerhafte und einigermaßen konfliktfreie menschliche Beziehungen zu gestalten. Mentalisieren ermöglicht uns Missverständnisse als solche zu erkennen und zu versuchen sie aufzulösen. Mentalisieren ermöglicht uns Bedürfnisse, Wünsche und Ziele anderer zu erkennen und darauf entsprechend zu reagieren. Dazu müssen wir uns in den anderen und uns gleichermaßen hineinversetzen.
+ Der vielleicht wichtigste Punkt: Mentalisieren ist der Schlüssel für unsere Selbstregulation. D.h. Mentalisieren ermöglicht uns schwer zu ertragende Gefühle, wie z. B. Enttäuschungen, Ärger, Angst, Traurigkeit, aber auch Verliebtheit zu ertragen, ohne in Kampf mit anderen zu geraten oder die Flucht zu ergreifen. Mentalisieren ermöglicht nicht nur die Bewältigung von schwer zu ertragenden seelischen Zuständen, sondern auch selbstdestruktive Teufelskreise zu unterbrechen. Mentalisieren ermöglicht Flexibilität und schafft Möglichkeiten für zwei wichtige Elemente, die seelische Gesundheit erhalten: Bedeutung haben und Hoffnung.
Mentalisieren und psychische Probleme
Mentalisieren ist eine Fähigkeit die alle Menschen haben. Das ist Alltagspsychologie. Aber wir Menschen können die Fähigkeit zum Mentalisieren auch verlieren, vor allem bei Stress und in engen, intensiven Beziehungen. In Situationen großer Erregung verlieren wir nach und nach unsere Fähigkeit zu mentalisieren und schalten in den Kampf- oder Fluchtmodus.
Seelische Erkrankungen sind oft mit Einschränkungen der Mentalisierung verbunden. Sie führen uns zu Schwierigkeiten mit anderen Menschen und halten Teufelskreise, negative Erfahrungen, sowie ungeeignete Bewältigungsversuche aufrecht. Mentalisierungsstörungen sind sowohl Folgen psychischer Störung als auch ihre Ursachen.
Mentalisieren ist dann am schwierigsten, wenn wir es am nötigsten brauchen:
- wenn wir unter Stress stehen
- wenn wir heftige Gefühle haben
- in intensive Beziehungen mit anderen Menschen
- wenn wir uns unverstanden fühlen
- wenn wir ein Trauma erlitten haben.
Informationen zur Therapie
Ein zentraler Punkt in der Therapie ist die Wiederherstellung von Vertrauen in die eigene Wahrnehmung und ein angemessenes Vertrauen in andere Menschen. Um hierfür eine Basis zu schaffen sind aus unserer Sicht zwei Punkte hilfreich:
+ Transparenz in der Behandlung. Der Therapeut² wird sich bemühen, das was in der Therapie geschieht, ihnen zu erklären und eine größtmögliche Transparenz herzustellen. Der Therapeut wird versuchen ihre Fragen ernst zu nehmen und zu beantworten. Die Behandlungsziele sollten deutlich sein und beide Seiten sollten dieselben Behandlungsziele vor Augen haben.
+ Gleichwertigkeit in der Behandlung. Stärker als in der medizinischen Behandlung rein körperlicher Erkrankungen ist der Therapeut in der Psychotherapie auf ihre Mithilfe angewiesen. Es herrscht hier eine Gleichwertigkeit. Was der Therapeut zu ihnen sagt ist dabei ein Versuch, einen Weg aus ihren Problemen zu finden. Die Sichtweise des Therapeuten ist dabei nicht immer die richtige. Das ist kein Fehler in der Behandlung oder ein Mangel an Kompetenz, denn der Prozess des Findens ihres Weges ist in der Therapie oft entscheidender als das Ergebnis einer Therapiestunde selbst.
Zur Förderung der Mentalisierung wird der Therapeut versuchen:
+ auf die gegenwärtigen Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühle zu fokussieren.
+ Fragen anzuregen nach ihrer eigenen inneren Welt und die der anderen.
+ versuchen sie dazu zu gewinnen, Beziehungen und eigene Erfahrungen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.
¹aus Kirsch, Brockmann & Taubner (2016) angelehnt an eine Patienteninformation der Menninger-Klinik (USA)
²aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden im Folgenden nicht beide Geschlechtsformen genannt.